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Per Flugzeug einen Wallfahrtsort besuchen? Niemals. Jonathan Uhmann, 19, wollte sich quälen beim Pilgern. Wer aber Freunde durch Gitarre und Handy ersetzt, fühlt sich schon bald einsam. Im SchulSPIEGEL schildert der Abiturient seine Etappe von München bis Genf.
"Auf den 2700 Kilometern Jakobsweg von München nach Santiago de Compostela wollte ich vor allem neue Bekanntschaften machen. Und laufen. Denn egal, ob ich jogge oder in den Bergen wandere, immer ordnet sich dabei etwas in meinem Kopf.
Auf meinem Jakobsweg kam ich zunächst allerdings kaum zum Nachdenken, so anstrengend war das Pilgern. Auf den ersten 100 Kilometern war ich abends richtig platt. Mein Körper schmerzte, die Füße waren wund.
Weil ich nicht viel Geld in der Tasche hatte, schlief ich meist bei Couchsurfern. Eine davon war Vera. Wir spielten bis in die Nacht Backgammon, tranken Rotwein und rauchten. Das erinnerte mich an die guten Abende mit meinen Freunden. Nur, dass die zuhause saßen.
Vera schenkte mir ein Übungsbuch, damit ich Gitarre spielen lerne. Ein paar Tage später kaufte ich mir eine Gitarre und schleppte drei Kilo mehr durch die Gegend, 17 Kilo wog mein Rucksack insgesamt. Mein wichtigster Begleiter aber war mein iPhone. Damit fotografierte und telefonierte ich, surfte im Netz, schrieb auf Twitter und meiner Webseite.
Todmüde schläft es sich überall
Auch Anja, die ich unterwegs kennenlernte, nahm mich mit nach Hause. Ihre Mutter kochte für mich, und ich konnte meine Wäsche waschen. Alles für lau. Dass ich einfach so einen jungen Pilger aufnehmen und durchfüttern würde, hätte ich vor meiner Pilgerreise nicht unterschrieben.
Nach dem Laufen sehnte ich mich weder nach Fernseher noch nach einer Disco. Stets war ich todmüde, hatte oft Schmerzen und wollte nur schlafen. Egal wo. Eine laue Nacht verbrachte ich im Schlafsack auf einem oberbayerischen Kirchplatz. Als ich morgens auf der Sitzbank mitten in der Stadt aufwachte, blickten mir ein paar Schulkinder ins Gesicht.
Neues Land, neue Bekanntschaften. In der Schweiz traf ich auf lächelnde 'Grüezi'-Sager, frische Luft und viele Kälber. Das war ich von meinem Münchner Großstadtleben nicht gewohnt. Genächtigt habe ich öfters in Klöstern. Dort bekam ich Abendessen und wurde zum Nachtgebet eingeladen. 80 Brüder standen betend und singend in der Kirche - so macht Gottesdienst Spaß.
Oft habe ich einmal rund um das Zifferblatt geschlafen: Um acht Uhr abends ging's ins Bett, um acht Uhr früh wieder raus. Manchmal habe ich an einem Tag 500 Höhenmeter bewältigt. Es war Spätherbst, in der Luft lagen Nebelschleier und Regen. Auch meine Planung war nebulös: Ich sah nur den nächsten Tag, alles andere lag im Ungewissen. Oft wusste ich morgens noch nicht, wo ich die nächste Nacht verbringen würde. Dass ich schon bald in Frankreich sein würde, dann in Spanien, konnte ich gar nicht glauben.
Sprachlos in Frankreich
Doch das lange Pilgern machte einsam. Obwohl ich jeden Tag und jede Nacht neue Leute traf, fehlte mir seelische Wärme und körperliche Nähe. Um das zu finden, habe ich die Menschen auf meinem Weg zu wenig kennen gelernt. Ich traf sie immer nur für ein paar Stunden, am nächsten Morgen zog ich weiter. Ich musste ständig an Sex denken. Mein Körper schien nicht ausgelastet zu sein, obwohl ich manchmal fast die Strecke eines Marathons am Tag zurücklegte.
Um festere Bekanntschaften zu knüpfen, zog ich für zwei Wochen in Genf bei einem Couchsurfer ein. Der sollte eigentlich für die Uni lernen, zog aber dann mit mir durch die Straßen. Auf einer Couchsurfingparty lernte ich mit ihm zwei hübsche Schweizerinnen kennen und freundete mich mit ihnen an. Die beiden Wochen Zivilisation gaben mir Kraft für meinen weiteren Weg.
Hinter Genf blies mir die frische Landluft den Kopf und die Lungen frei. Wenn im abendlichen Nebel an der Rhône die Sonne abends hinter die Berge tauchte, glänzten Wiesen und Wälder wie im Auenland. Ich war sprachlos, doch nicht nur vor Begeisterung. Ich spreche nämlich kein Französisch, was das Pilgern ab diesem Punkt nicht unbedingt leichter machte. Nur mit Händen und Füßen konnte ich mich mit den sehr gesprächigen Leuten verständigen.
Viele Kilometer lagen noch zwischen mir und meinem Ziel. Auf diesem Weg nach Santiago de Compostela sollte mir noch so einiges begegnen."
Aufgezeichnet von Felix Scheidl
Link zum Orinialbericht: http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,603805,00.html#ref